Gewalt und Aggressivität bei Kindern – Wenn Eltern Angst vor dem eigenen Nachwuchs haben

Wenn über Gewalt in Familien gesprochen wird, geht es meistens um Eltern, die ihre Kinder seelisch oder körperlich misshandeln. Seltener wird über gewalttätige Kinder berichtet, deren Verhalten so ausufert, dass die Geschwister oder sogar die Eltern Angst vor ihnen haben. Im Film „Systemsprenger“ von 2019 zeigt Regisseurin Nora Fingscheidt das Mädchen Benni, dessen unberechenbares und aggressives Verhalten die Erwachsenen komplett überfordert, denn sie erkennen nicht, dass dem Mädchen Halt und Zuverlässigkeit fehlen.

Was sind die Ursachen für Aggressivität und Gewalttätigkeit bei Kindern?

gewaltätige KinderNicht immer lassen sich die Ursachen für aggressives oder gewalttätiges Verhalten von Kindern auf einen Blick erkennen. Grundsätzlich kann jedoch zwischen inneren und äußeren Ursachen unterschieden werden. In der Regel bedarf es zudem bestimmter Situationen oder Reize, um eine Aggression auszulösen. Zu den inneren Ursachen gehören:

  • psychische Erkrankungen
  • genetische Veranlagung, wie in Zwillings-, Familien- und Adoptionsstudien als Einflüsse auf aggressives Verhalten von Kindern erkannt wurde

Als äußere Ursachen gelten unter anderem:

ungesteuerter Fernsehkonsum mit nicht kindgerechten Sendungen, in denen Gewalt oder für Kinder verstörende Handlungen zu sehen sind

  • Computerspiele, in denen viel Gewalt ausgeübt wird
  • schlechte Vorbildfunktion durch Eltern, Geschwister oder andere Bezugspersonen, wie Sporttrainer, Lehrer oder Erzieher
  • Missbrauch, Misshandlung oder körperliche Bestrafung durch Bezugspersonen
  • insbesondere im Jugendalter sozialer Druck durch andere Jugendliche oder Konsum von Alkohol oder Drogen
  • keine klaren Erziehungsregeln und keine festen Strukturen innerhalb der Familie
  • Konflikte oder Gewalt in der Familie, der Ehe beziehungsweise in der Partnerschaft der Eltern

Als Risikofaktoren für aggressives Verhalten werden auch Armut oder finanzielle Probleme der Eltern genannt. Das heißt jedoch nicht, dass ärmere Kinder zwangsläufig aggressiver sein müssen, als solche aus reicheren Elternhäusern. Wer mit wenig Geld, aber mit liebevoller Zuwendung der Eltern aufwächst, hat trotzdem keine schlechten Karten.

Situationen, die akut bei Kindern Aggressionen auslösen können, sind zum Beispiel:

  • das Gefühl einer Bedrohung
  • das Gefühl, nicht beachtet oder ungerecht behandelt worden zu sein
  • Stress
  • Schmerzen oder körperliche Störungen, wie beeinträchtigtes Seh- oder Hörvermögen

SystemsprengerIm Film „Systemsprenger“* lässt sich gut beobachten, wie Bennis aggressive Ausbrüche unmittelbar mit dem Verhalten der Erwachsenen als Auslöser zusammenhängen. Welche Ursachen dem aggressiv-dissozialen Verhalten Bennis zugrunde liegen, wird nicht näher erklärt. Der Zuschauer erfährt aber, dass die Mutter mit dem Verhalten ihres Kindes überfordert war und das Kind deshalb in Pflegefamilien lebt und eine Förderschule besucht. Bennis Aggressionen richten sich gegen Erwachsene, andere Kinder und Gegenstände. Einer von Bennis Wutausbrüchen resultiert aus dem gebrochenen Versprechen der Mutter, sie wieder zu sich nehmen. Gegen ein anderes Pflegekind wird Benni gewalttätig, weil sie sich vermutlich zur Seite gedrängt fühlt und eifersüchtig ist. Die Erwachsenen erkennen alle das Dilemma des Mädchens nicht bis die Situation eskaliert. Systemsprenger werden von Pädagogen und Psychologen übrigens verhaltensauffällige Kinder genannt, die sich scheinbar nicht in ein angebotenes Hilfssystem integrieren und daher häufig die Einrichtungen oder Pflegefamilien wechseln. In Fachkreisen wird darüber diskutiert, ob es sich um individuelle Probleme betroffener Menschen oder um ein Problem der Sozialsysteme handelt.

Welche Formen kann aggressives Verhalten von Kindern annehmen?

Die Aggressionen von Kindern können sich gegen andere Personen oder Tiere, gegen Sachen oder sogar gegen sich selbst richten. Formen gegenüber Menschen und Tieren sind beispielsweise Schlagen oder sogar Töten, aber auch Schreien, Bedrohen, gehässiges Verhalten und Schikanen. Richtet sich die Aggression gegen unbelebte Dinge, kommt es beispielsweise zu Beschädigungen, absichtlicher Verunreinigung oder kompletter Zerstörung. Kinder und Jugendliche, bei denen sich die Aggression gegen sich selbst richtet, fallen zum Beispiel dadurch auf, dass sie sich die Haut mit scharfen Gegenständen aufritzen oder sich mit Nadeln stechen, sich selbst an den Kopf oder diesen an harte Gegenstände schlagen, sich die Haare ausreißen oder sich selbst in erreichbare Körperstellen beißen. Auch Essstörungen wie Bulimie oder Anorexia nervosa können ein Hinweis auf eine Autoaggression sein.

Was können Eltern gegen die Aggressivität ihrer Kinder tun?

aggressive KinderWenn kleine Kinder mal bocken oder große in die sogenannten Flegeljahre kommen, ist das meistens kein Problem zur Sorge. In jeder Familie gibt es einmal Streit und je nach Temperament der Familienmitglieder kann es auch einmal etwas lauter werden. Sofern keine psychischen Krankheiten zugrunde liegen könnt ihr als Eltern allerdings viel dazu beitragen, einem aggressiven oder gewalttätigen Verhalten eurer Kinder vorzubeugen:

  • Klare Regeln innerhalb der Familie, ein freundlicher und respektvoller Umgang miteinander sowie eine gute Vorbildfunktion sind einfache Maßnahmen.
  • Hört eurem Kind zu, wenn es Probleme hat und nehmt diese ernst.
  • Macht keine leeren Versprechungen, wenn ihr diese nicht halten könnt.
  • Tragt als Erwachsene keine Streitigkeiten oder gar Handgreiflichkeiten vor dem Kind aus.
  • Züchtigung und Körperstrafen, beispielsweise durch Prügel, sind keine geeigneten Erziehungsmethoden.
  • Besprecht Auffälligkeiten im Verhalten mit anderen Bezugspersonen, zum Beispiel mit den Erziehern und Lehrern oder auch mit den Großeltern.
  • Wenn ihr das Gefühl habt, mit der Erziehung überfordert zu sein, scheut euch nicht, an kompetenten Stellen um Hilfe zu fragen. Damit zeigt ihr keine Schwäche, sondern Stärke und Verantwortungsbewusstsein.

Wenn die Eltern nicht mehr weiterwissen – Hier gibt es Hilfe

gewaltätige KinderForscher und Pädagogen halten es für wesentlich wichtiger, dem aggressiv-dissozialen Verhalten von Kindern vorzubeugen, als diese später therapieren zu müssen. Sofern ihr selbst mit eurem Latein am Ende seid, sucht am besten einen Kinder- und Jugendpsychiater oder einen Kinderpsychologen auf. Diese können die richtige Diagnose stellen und eine geeignete multimodale Behandlung in die Wege leiten. Bei einer multimodalen Therapie werden verschiedene Behandlungsansätze zum Erreichen eines optimalen Ergebnisses miteinander kombiniert. Speziell für das Therapieren von Kindern, bei denen eine Störung des Sozialverhaltens erkennbar ist, wurden unter anderem die Programme THAV (Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten) und ScouT (Soziales computerunterstütztes Training für Kinder mit aggressivem Verhalten) entwickelt.

Mithilfe dieser Programme sollen die Kinder lernen, ihr Verhalten zu kontrollieren, alternative Verhaltensweisen kennenzulernen und soziale Kompetenzen zu entwickeln. Die Mitwirkung der Familie ist immens wichtig und daher werden Therapien zur Behandlung aggressiven Verhaltens häufig mit einem Elterntraining gekoppelt. Dieses hat zum Ziel, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung verbessert und die Eltern bessere Erziehungskompetenzen entwickeln. Ein Elterntraining beinhaltet zum Beispiel gemeinsame Spielzeiten unter Beobachtung des Therapeuten sowie das Erlernen klarer Anweisungen und fester Strukturen. Bei Jugendlichen wird unter Umständen auch das weitere soziale Umfeld in eine Therapie einbezogen.